Sonntag, 17. Juli 2011

Evolutionäre Hardware Entwicklung

Trotz intensiver Recherche, konnte ich keinen deutschsprachigen Beitrag zu den Experimenten von Adrian Thompson finden. Da ich aber der Ansicht bin, dass dessen Ergebnisse sehr viele interessante Implikationen bergen, möchte ich das Ganze hier kurz vorstellen. Zunächst kommentarlos – später werde ich wohl auf diesen Beitrag bezug nehmen.

Zwischen 1993 und 1997 ließ Adrian Thompson eine Evolution von Schaltkreisen laufen. Er überlegte, was wohl geschähe, wenn man die Prinzipien der Evolution auf Schaltkreise anwendet. Man legt eine Aufgabe fest, würfelt zufällig ein paar Schaltkreise zusammen und sieht, ob sie die Aufgabe erfüllen oder nicht. Dann nimmt man die, die der Lösung ein bisschen näher sind, rekombiniert sie untereinander und sieht, ob sie dadurch der Lösung näher kommen oder sich von ihr entfernen usw. Das Interessante daran ist, dass eine so gefundene Lösung nichts mit den Lösungen zu tun haben muss, die sich ein Ingenieur für das Problem ausdenken würde. Thompson beschloss, es einfach zu versuchen.

Also setzte er ein Ziel fest, das die Schaltkreise erreichen sollten. (Normalerweise funktioniert Evolution natürlich nicht teleologisch, aber diese Zielvorgabe simuliert quasi die Umwelt, an die es sich anzupassen gilt und mit der Organismen normalerweise koevolvieren.) Das Ziel war eine Schaltung, die zwei Töne, einen tiefen (1000 Hz) und einen hohen (10.000 Hz) eindeutig unterscheiden und über entsprechende Signale bekanntgeben kann. (Ein sehr einfaches Ziel, aber man muss für ein Experiment klein anfangen. Eventuell hätte es auch mit einem Radio als Zielvorgabe funktioniert, aber wahrscheinlich wäre das Experiment erst in ein paar Jahrhunderten zu Ende gewesen – und so lange wollte er nicht warten.)
Natürlich war es Thompson klar, dass er nun nicht tausende von Schaltungen löten konnte. Ein gangbarer Weg wäre also eine Computersimulation gewesen. Aber Thompson vertraute diesen Computermodellen nicht, da sie nur mit jenen Variablen rechnen können, die ihnen vom Menschen einprogrammiert werden und wer weiß, ob Menschen wirklich alle für diese Aufgabe relevanten Parameter kennen? Wie sich später herausstellte, misstraute er den Theorien von Physikern und Programmierern zu Recht.

Er suchte also stattdessen eine Möglichkeit, diese Schaltungen nicht virtuell im Computer sondern ganz real als physische Schaltkreise zu realisieren. Es gibt sogenannte „field-programmable-gate-arrays“. Das sind Mikrochips, die ein Feld von 64x64 transistorisierten logischen Zellen (logische Gatter) enthalten, die alle auf verschiedene Funktionen programmiert und untereinander vernetzt werden können. Programmiert werden solche Chips, indem man eine Reihe von Bits in den Speicher lädt. Diese Bit-Reihen sind ähnlich dem DNS-Code und man kann sie untereinander ebenso rekombinieren, wie das Erbgut von Zellen. Genau das tat Thompson auch, verwendete aber nur ein Ausschnitt-Array von 10x10 logischen Zellen, also nur 100 der 4096 verwendbaren Gatter.

Am Beginn erzeugte er 50 verschiedene zufällig generierte Bit-Reihen und testete deren Eingenschaften, die beiden Töne zu erkennen. Der beste zufällig generierte Schaltkreis erzeuge ein Ausgangssignal von 5 Volt, egal welcher Ton eingegeben wurde. Dieser wurde nun mit einigen der nicht ganz so „tüchtigen“ Bit-Reihen rekombiniert um eine zweite Generation zu erzeugen. Dieses Testen mit anschließender Rekombination wurde im Anschluss immer wieder ausgeführt. Die Details sind absolut nicht spannend und müssen uns nicht interessieren. Wohl aber das Ergebnis.

Nach etwa 200 Generationen erzeugte ein Schaltkreis Outputs, die den Inputs ähnlich waren: Zwei Töne unterschiedlicher Frequenz. Nach etwa 3000 Generationen erzeugte der tiefe Ton ein konstantes Ausgangssignal, der hohe Ton jedoch erzeugte immer noch eine Frequenz. Etwa bei Generation 4000 war eine Lösung gefunden, die sich danach kaum noch veränderte:
Input tiefer Ton = Output 0 Volt
Input hoher Ton = Output 5 Volt

Ein Techniker würde, um diese Aufgabe zu lösen, wahrscheinlich einen Taktgeber konstruieren, an dem die Frequenzen verglichen und sortiert werden. Das wäre mit nur 100 logischen Gattern kaum zu schaffen. Die Evolution kümmerte sich um solche Überlegungen nicht und entwickelte stattdessen eine Schaltung, welche die Eingangssignale über komplizierte Schleifen verschob und schließlich zu den gewünschten Output-Signalen kombinierte.

Das erste, was Thompson erstaunte, war die Tatsache, dass der evolutionäre Prozess zu einem Ergebnis geführt hatte, das mit nur 32 logischen Gattern auskam. Den Rest konnte man entfernen, ohne die Funktion zu beeinträchtigen.
Aber das Erstaunlichste war, dass es 5 logische Gatter gab, die überhaupt keine elektrische Verbindung zu der Schaltung hatten, aber wenn man diese entfernte, funktionierte die Sache nicht mehr. Irgendwie schien die Schaltung mit diesen Gattern zu kommunizieren – wahrscheinlich über elektromagnetische Rückkopplungen. Und hier zeigte sich wie gut es war, dass Thompson keine Computersimulation verwendet hatte, denn diese Möglichkeit wäre nicht vorgesehen gewesen.
Schlussendlich fasst Thompson die Analyse der Schaltung so zusammen: „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das funktioniert.“

Mittwoch, 6. Juli 2011

Der Josefspfennig

Kennen Sie den Josefspfennig? Es ist ein Gedankenspiel, das uns zeigen soll, wie schlecht Zins und Zinseszins ist. Wirklich eindrücklich sind die Zahlen, die uns da vorgesetzt werden. Wenn Josef zur Zeit von Jesus Geburt – also im Jahre 0 – einen Pfennig auf ein Sparbuch gelegt hätte, das mit 2% verzinst ist und dieses Geld bis heute niemand abgehoben hätte, wie viel wäre dann wohl heute (2011) auf dem Sparbuch?


Probieren wir das aus: Mit Zinseszins verdoppelt sich eine Geldmenge bei 2% Verzinsung pro Jahr nach ca. 35 Jahren. Im Jahre 35 wären also 2 Pfennig auf dem Sparbuch. Vereinfachen wir das Ganze und sagen wir es sind 0,01€. Im Jahre 70 wären es dann 0,02€. Klingt noch nicht sehr aufregend. Aber nach 300 Jahren sind es immerhin schon 3,-€ (woran man sieht, dass es sich für einen Menschen mit begrenzter Lebensdauer nicht wirklich lohnt, so kleine Beträge zu sparen). Nach 500 Jahren sind es schon 100,-€ und nach 1000 Jahren hat sich die Summe bereits auf 2 Millionen € hochgeschraubt. Jetzt sollten wir auf eine andere Größe umsteigen, um die Vorstellung handlicher zu machen: Der momentane Goldpreis liegt bei ca. 34.000,- € pro Kilogramm. Also hat Josef nach 1000 Jahren ein Vermögen im Gegenwert von nicht ganz 60kg Gold. Aber die Vermögensanlage geht ja weiter. Im Jahre 1300 nennt Josef ein Vermögen von 3t Gold sein eigen. Im Jahre 1500 sind 1,17 Kilotonnen daraus geworden und – um es abzukürzen – im Jahre 2011 ist das Vermögen auf ca. 30.000 Kilotonnen Gold angewachsen. Immerhin zwei Drittel des auf der Erde vorhandenen Goldes (inklusive dessen, das sich noch in den Minen befindet).

Rechnet man das Beispiel mit einer Verzinsung von 5% anstatt 2%, kommt man auf eine Goldmenge, die 1,73 Milliarden mal das Gewicht der Erde hätte.

Eindrücklich, oder nicht? Beweist das nicht, dass Zins und Zinseszins schlecht ist?

Ganz so einfach kann man es sich natürlich nicht machen. Durch das Zinssystem ist ja auch Inflation mit im Spiel. Ein Pfennig heute hat nicht den gleichen Wert wie ein Pfennig vor 30 Jahren.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Im Jahre 1948 wurde in Deutschland die DM eingeführt. Dazu erhielt jeder Bürger zunächst 40,- DM und später nochmal 20,- DM. Insgesamt waren das also 60,- DM. Aber wie viel waren die 60,- DM damals wert? Diese Kaufkraft Analyse muss ich Gott sei Dank nicht selbst vornehmen, da sie nicht nur mit der Inflationsrate zu tun hat, sondern auch mit der Geldmenge und dem Verhältnis zur Gesamtkaufkraft der Bundesbürger. An anderer Stelle wurde diese Rechnung bereits durchgeführt. Dort lesen wir, dass die 60,- DM von damals heute einer Kaufkraft von 7.860,- € entsprechen; also dem 262-fachen! Und das innerhalb von nur 63 Jahren. Wenn man das in Zins und Zinseszins umrechnet, dann bleibt die Kaufkraft einer bestimmten Geldsumme erst dann stabil, wenn sie mit mindestens 9,4% im Jahr verzinst wird.

Das Beispiel des Josefspfennigs ist also irreführend, weil durch den Kaufkraftverlust der Wert des Geldes zurückgerechnet so stark steigt, dass Josef für den einen Pfennig damals wahrscheinlich mehrfach das Gewicht des gesamten Sonnensystems in Gold hätte kaufen können. Er hätte also einen eklatanten Verlust zu beklagen, wenn er sich heute nur noch 1,73 Milliarden Mal das Gewicht der Erde in Gold leisten könnte.

Ich bin mit Sicherheit der Letzte, der den Turbokapitalismus mit seinem Casinofinanzsystem befürwortet. Ich finde es erschreckend, dass vom täglichen Cashflow von 4000 Billionen Dollar nur ca. 1,5% mit realen Waren und Dienstleistungen zu tun hat, während die restlichen 98,5% rein virtuelles Spielgeld für die Börsen ist. Aber es muss andere Argumente als den Josefspfennig geben, um Menschen davon zu überzeugen, dass hier was falsch läuft. Ich bin – als ersten aber nicht einzigen Schritt – für die Einführung einer weltweit einheitlichen Finanztransaktionssteuer. Das zu begründen und durchzusetzen wäre eine gute Aufgabe. Gehen wir sie an.